Immobilien- & Baurecht
Vertragliche Leistungsstörungen unter dem Blickwinkel der Corona-Pandemie
Die „Corona-Krise“ ist bereits allgegenwärtig. Die finanziellen und wirtschaftlichen Folgen hingegen noch kaum absehbar. Schon jetzt fragen sich viele, was die umfassenden behördlichen Einschränkungen, die Quarantäne- und Präventionsmaßnahmen sowie die damit verbundenen Lieferschwierigkeiten für bestehende Verträge bedeutet. Antworten hierzu gibt zunächst das allgemeine Leistungsstörungsrecht im BGB. Kommt es zu Hindernissen in der Vertragsabwicklung, ist zwischen den folgenden Fragen zu unterscheiden:
- Frage der Primärleistungspflicht: Muss ich überhaupt noch leisten?
- Bestand des Schuldverhältnisses: Bleibt mein Vertrag weiterhin bestehen?
- Ersatzansprüche: Wer muss die Kosten bezahlen?
I. Frage der Primärleistungspflicht: Muss ich überhaupt noch leisten?
Kommt es zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung einer vertraglichen Pflicht, so stellt sich zunächst die Frage, welche Erschwernisse der Schuldner auf seine Kosten bewältigen muss und unter welchen Voraussetzungen er von seiner Leistungspflicht befreit wird.
1. Unmöglichkeit der Leistung
Liegt ein Fall der Unmöglichkeit i.S.d.§ 275 BGB vor, muss der Schuldner die versprochene Leistung nicht mehr erbringen. Dies gilt jedoch nicht für Geldschulden („Geld hat man zu haben“). Unmöglichkeit kann in unterschiedliche Formen vorliegen:
- Tatsächliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Leistung von niemandem (objektive Unmöglichkeit) oder nur von dem Schuldner (subjektive Unmöglichkeit) überhaupt nicht (mehr)erbracht werden kann (§ 275 Abs. 1 BGB).
- Bei der faktischen Unmöglichkeit ist die Leistungserbringung noch möglich, aber mit einem derartigen Aufwand verbunden, dass sie objektiv in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubiger steht (§ 275 Abs. 2 BGB).
- Ein Leistungsverweigerungsrecht steht dem Schuldner auch zu, wenn es sich um eine ausschließlich persönlich zu erbringende Leistung handelt, die aufgrund persönlicher Umstände nicht mehr erbracht werden kann (persönliche Unmöglichkeit).
2. Praxisrelevante Konstellationen
Unmöglichkeit wird jedoch nicht die in der Praxis flächendeckend vorkommende rechtliche Folge der Corona- Krise sein. Soweit derzeit absehbar, werden die folgenden Konstellationen relevant.
- Die aufgrund der weitgehend stillgelegten Produktionen weltweit unterbrochenen Lieferketten führen meist lediglich zu einer vorübergehenden Unmöglichkeit. Diese ist nicht per se ein Fall des § 275 BGB, da dieser eine dauerhafte Unmöglichkeit voraussetzt. Für die Praxis folgt, dass der Schuldner nur während der Dauer der vorübergehenden Unmöglichkeit von der Leistungspflicht frei wird. Eine andere Bewertung ergibt sich bei Fixgeschäften oder in Fällen, in denen durch das vorübergehende Leistungshindernis der Geschäftszweck derart in Frage gestellt wird, dass ein Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist.
- Ebenso praxisrelevant sind die Fälle des Zweckfortfalls. § 275 BGB ist unanwendbar, wenn der Leistungserfolg noch herbeigeführt werden kann, der Gläubiger hieran aber kein Interesse mehr hat. Dies betrifft beispielsweise die Fälle der Belieferung zwischenzeitlich geschlossener Restaurants oder Reinigung geschlossener Schulen. Grundsätzlich trägt der Gläubiger das Verwendungsrisiko, sodass der Restaurantbetreiber die weiter angelieferten Waren zu vergüten hat. Ein abweichendes Ergebnis kann sich ggf. aus der konkreten vertraglichen Regelung oder nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ergeben.
- Das von der Bundesregierung angekündigte „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19- Pandemie“ sieht weitreichende Leistungsverweigerungsrechte bzgl. aller Leistungspflichten vor. Dies betrifft wohl nicht Arbeits-, Reise- und Transportverträge, sodass es diesbezüglich bei den Vorgaben des allgemeinen Leistungsstörungsrechts bleibt.
II. Bestand des Schuldverhältnisses: Bleibt mein Vertrag weiterhin bestehen?
1. Im Fall der Unmöglichkeit
Das Vorliegen einer Unmöglichkeit nach § 275 BGB hat an sich keine Auswirkung auf den Bestand des Schuldverhältnisses. Auch, wenn die Leistung bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unmöglich war, berührt dies den Bestand des Vertrages nicht (§ 311a Abs. 1 BGB).
2. Kündigungsrechte
Gerade im geschäftlichen Bereich sind vertraglich vorbehaltene Kündigungsrechte (z.B. bei Fristüberschreitungen) relevant. Werden diese ausgeübt, wird das Schuldverhältnis beendet (ex nunc). Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen können gesetzliche Kündigungsrechte hinzukommen (insb. § 313 Abs. 3 BGB), wobei hier eine individuelle Abwägung erforderlich ist.
Jedoch: Durch das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19 Pandemie“ ist die Abwandlung der gesetzlichen Folgen bei Nichterfüllung geplant.
3. Rücktrittsrechte
Soweit der Schuldner eine fällige und durchsetzbare Leistung nach entsprechender Nachfristsetzung nicht erbringt, stehen dem Gläubiger grundsätzlich die Rücktrittsrechte gem. §§ 323 ff. BGB zu. In diesem Fall wird der Vertrag rückabgewickelt.
Jedoch: Durch das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19 Pandemie“ ist die Abwandlung der gesetzlichen Folgen bei Nichterfüllung geplant.
4. Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
Unter Umständen kann eine Anpassung des Vertrages aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Frage kommen. Wann ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und ist angesichts der derzeit nicht absehbaren Dauer der gegenwärtigen Einschränkungen schwer abzuschätzen. Liegen die Voraussetzungen nach § 313 Abs. 1 BGB vor, ist aber eine Anpassung nicht möglich/zumutbar, so kommt ein Rücktritt bzw. bei Dauerschuldverhältnissen eine Kündigung in Betracht (§ 313 Abs. 2 BGB).
III. Ersatzansprüche: Wer muss die Kosten bezahlen?
1. Schadenersatz
Grundsätzlich zieht eine Pflichtverletzung einen Schadensersatzanspruch nach sich (§§ 280 ff. BGB). Allerdings setzt dies regelmäßig ein Vertretenmüssen des Schuldners voraus (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB, über § 286 Abs. 4 BGB auch i.R.d. Verzuges). Hier genügt bereits das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die Pandemie kann einen Fall der höheren Gewalt darstellen. Dennoch muss jedes Unternehmen alle zumutbaren Vorkehrungen und Abhilfemaßnahmen ergreifen, um Beeinträchtigungen durch das Virus zu vermeiden oder abzumildern. Zum Beispiel durch die Suche nach alternativen Beschaffungswegen. Unterlässt ein Unternehmen dies und kommt es in der Folge zu Lieferverzögerungen o.ä., kann ein Verschulden des Unternehmens vorliegen und Schadensersatzanspruch bestehen.
2. Fälle der Unmöglichkeit
Wird die Leistungserbringung unmöglich, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 S. 1 HS.1 BGB). Der Gläubiger muss die nicht erbrachte Leistung somit auch nicht bezahlen. Jedoch bestehen auch hier Ausnahmen, z.B. wenn der Gläubiger in Annahmeverzug war oder die Unmöglichkeit zu vertreten hat.
3. Fälle des Zweckfortfalls
Grundsätzlich ist der Schuldner in Fällen des Zweckfortfalls weiterhin zur Erbringung seiner Leistung verpflichtet und der Gläubiger im Gegenzug zu der entsprechenden Vergütung. In der Praxis wird es in dieser Konstellation häufig zu einem sogenannten Annahmeverzug auf Seiten des Gläubigers kommen (§§ 293 ff. BGB). Gläubigerverzug bedeutet, dass der Schuldner zur Leistung imstande ist und diese anbietet, der Gläubiger die Leistung aber nicht annimmt.
Bsp.: Schulen sind geschlossen. Die Reinigungsunternehmen, die die Schule regelmäßig reinigen, stellen ihre Leistung weiterhin zur Verfügung. Mangels stattfindendem Schulbetrieb wird das Schulgelände und die Unterrichtsräume jedoch nicht mehr verschmutzt, sodass der Gläubiger kein Interesse mehr an der Leistungserbringung hat.
Das Gesetz sieht in den §§ 300 – 304 BGB spezielle Rechtfolgen vor. Ungeachtet dessen, gibt der Gläubigerverzug dem Schuldner weder einen Schadensersatzanspruch noch ein Recht zur Vertragsauflösung. Der Schuldner bleibt im Grunde weiterhin zur Leistung verpflichtet (aber bspw. § 615 BGB). In welcher Form der Schuldner Ansprüche geltend machen kann, hängt von dem konkreten Sachverhalt ab. Dies kann von einem Anspruch auf Vergütung über Schadensersatz bis hin zu Verzugsschäden reichen.
IV. Fazit
Die nun in der Praxis akuten Fälle der Bauverzögerungen, Verteuerung von Materialien infolge Lieferengpässen, personellen Engpässe und Betriebsschließungen stellen meist keinen Fall der Unmöglichkeit nach § 275 BGB, sondern einen Zweckfortfall dar. Die Frage, welche Partei welche Kosten zu tragen hat, hängt insbesondere von der Risikoverteilung zwischen den Vertragspartnern ab. Diese richtet sich in erster Linie nach der konkreten vertraglichen Regelung. Die gesetzliche Wertung differiert nach der Art des Schuldverhältnisses, weshalb sich für Kauf-, Werk-, oder Dienstleistungsverträge, Dauerschuldverhältnisse oder Fixschulden unterschiedliche Bewertungen ergeben können.
Die Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB sehen für Verstöße gegen vertragliche Verpflichtungen vielfältige Konsequenzen vor. Diese sollen durch das von der Bundesregierung angekündigte „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19- Pandemie“ abgemildert werden. Ob und inwiefern die zivilrechtlichen Regelungen demnach Anwendung finden, richtet sich wiederum nach der Art des Schuldverhältnisses und der Konstellation des Einzelfalls.