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Das deutsche Unternehmensstrafrecht wird kommen – Referentenentwurf eines „Verbandssanktionengesetzes“ vom 22. April 2020
Wie bereits mehrfach erwähnt nimmt die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland weitere Konturen an. Mit Stand vom 22. April 2020 wurde nun der Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) veröffentlicht, über den wir im vergangenen Herbst zuletzt berichtet hatten.
Folgende Eckpunkte enthält der Gesetzesentwurf:
- Unter dem Begriff „Verband“, der für den Praktiker natürlich erst einmal viel zu abstrakt und unverdächtig klingt, versteht das Gesetz Wirtschaftsunternehmen in der Form einer juristischen Person des öffentlichen oder des privaten Rechts (praktisch: v.a. GmbH und AG, aber auch die SE, rechtsfähige Vereine und Stiftungen), nicht rechtsfähige Vereine oder rechtsfähige Personengesellschaften (praktisch v.a. Kommanditgesellschaften, v.a. GmbH & Co. KGs, die OHG, aber auch nach außen auftretende Gesellschaften bürgerlichen Rechts)
- Das Gesetz greift, wenn eine „Leitungsperson“ des „Verbandes“ eine „Verbandstat“ begeht; das ist eine Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. Für den Praktiker übersetzt dies die Gesetzesbegründung wie folgt: „Verbandstaten sind daher nicht auf bestimmte Deliktsgruppen wie Vermögens- oder Steuerdelikte beschränkt. In Betracht kommen etwa auch mit Strafe bedrohte Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB), Umweltdelikte (§§ 324 ff. StGB) und Straftaten gegen den Wettbewerb (§§ 298, 299 Absatz 2, 299b StGB)“.
Mit „Straftaten gegen den Wettbewerb“ ist übrigens Korruption gemeint.
- „Leitungsperson“ im Sinne des Gesetzes ist ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person (also v.a. ein Geschäftsführer oder Vorstand), ein Mitglied des Vorstandes eines nicht rechtsfähigen Vereins, ein vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft, Generalbevollmächtigte und, soweit in leitender Stellung tätig, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte. Ziemlich unscharf wird der Anwendungsbereich durch den Auffangtatbestand, dass Leitungsperson auch jede sonstige Person sein soll, „… die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens eines Verbandes verantwortlich handelt, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört…“. Für Aufsichtsräte ist das klar, aber wie ist es mit fakultativen Beiräten? Dazu kommt mit dem Begriff „Leitung des Betriebs“ ein Paradigmenwechsel vom Verbandsrecht in das Arbeitsrecht hinzu. Betriebs- und Werksleiter, auch von unselbständigen Niederlassungen, werden also im Zweifel miterfasst. Eine Organstellung oder auch nur die Einräumung einer Prokura ist in diesem Fall nicht erforderlich. Erfasst werden sollen nach der Gesetzesbegründung somit auch „… mit Weisungsbefugnissen ausgestattete Umwelt- oder Datenschutzbeauftragte“ sowie Compliance-Beauftragte.
- Verbandssanktionen können auch Gesamtrechtsnachfolger des Verbandes treffen. Gemeint sind hier vor allem umwandlungsrechtliche Vorgänge wie die Verschmelzung oder die Spaltung von Unternehmen. Noch weiter geht die sogenannte Ausfallhaftung in § 7 des Entwurfes, wonach unter bestimmten Voraussetzungen vor allem die Gesellschafter eines Unternehmens oder Einzelrechtsnachfolger, die wesentliche Vermögensgegenstände eines zu sanktionierenden Unternehmens übernommen haben, in Haftung genommen werden können.
- Wesentlichstes Sanktionsmittel sind Geldstrafen. Als milderes Mittel kommt eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht. Die früher diskutierte „ultima ratio“ der zwangsweisen Auflösung des Unternehmens ist erst einmal nicht Gegenstand der Regelung; die §§ 396 AktG, 62 GmbHG bleiben jedoch unberührt. Allerdings gibt es mit dem sog. „Verbandssanktionenregister“, in den das betroffene Unternehmen „aufgenommen“ wird, eine Art Pranger; zudem kann bei einer Vielzahl von Geschädigten eine Veröffentlichung der Verurteilung des Unternehmens angeordnet werden.
- Der Rahmen für die Geldstrafe ist wie folgt vorgesehen: bei einer Vorsatztat mindestens tausend Euro und höchstens 10 Millionen Euro, bei einer fahrlässigen Tatbegehung mindestens fünfhundert Euro und höchstens fünf Millionen Euro. Hat das Unternehmen allerdings einen durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als einhundert Millionen Euro, erhöht sich der Rahmen der Geldstrafe bei einer Vorsatztat auf mindestens zehntausend Euro und höchstens 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes, bei fahrlässiger Tatbegehung auf mindestens fünftausend Euro und höchstens 5 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes.
- Unberührt bleibt eine mögliche Abschöpfung des durch die Tat erlangten Vermögensvorteils gemäß §§ 73 ff. StGB.
- Bei der Strafzumessung sollen sich interne Untersuchungen strafmildernd auswirken können. Damit soll ein Anreiz geschaffen werden, im Fall von Straftaten im Unternehmen interne Untersuchungen zur Aufklärung durchzuführen. Der Maximalrabatt soll 50 Prozent der ansonsten zu verhängenden Geldstrafe betragen.
- Die Geldstrafen sind natürlich weder bei der Einkommensteuer noch bei der Körperschaftsteuer abzugsfähig.
Fazit
Das Gesetz nimmt für sich in Anspruch, der ganz großen Mehrheit der Unternehmen in Deutschland, die sich rechtstreu und lauter verhält, zugute zu kommen. Nicht rechtstreue Unternehmen würden sich Vorteile auf Kosten der rechtstreuen Unternehmen sowie deren Gesellschaftern und Arbeitnehmern verschaffen, den Ruf der Wirtschaft schädigen und bei Ausbleiben einer angemessenen Reaktion zugleich das Vertrauen in den Rechtsstaat mindern. Mit anderen Worten: es kann sich für Konkurrenzunternehmen lohnen, ein wachsames Auge auf den Wettbewerber zu haben und andere an den gemachten Beobachtungen teilhaben zu lassen.
Der Gesetzesentwurf hat die parlamentarischen Hürden noch nicht hinter sich gebracht. Über weitere Entwicklungen bzw. Modifikationen werden wir Sie zu gegebener Zeit unterrichten.
Unsere Empfehlung aus dem vergangenen Herbst hat an Relevanz zugenommen: „Bereits heute empfiehlt es sich, präventiv die bestehenden Sicherungsmaßnahmen auf Angemessenheit und Effizienz zu überprüfen. Ebenso ist es angezeigt, Strukturen und Handlungsanweisungen für unternehmensinterne Untersuchungen zu schaffen, um im Ernstfall die drohenden finanziellen Sanktionen zumindest reduzieren zu können.“