Immobilien- & Baurecht
Keine Pflicht mehr zur Mietzahlung nach Bund-Länder-Gipfel?
Der Bund-Länder-Beschluss vom vergangenen Sonntag, den 13. Dezember 2020, schlägt hohe Wellen. Aufgrund der Nr. 15 des Beschlusses gehen Mieter teilweise davon aus, bereits jetzt nur noch die Hälfte ihrer Miete zu schulden. Diese Schlussfolgerung ist jedoch deutlich verfrüht und kann in dieser Pauschalität nicht gezogen werden.
I. WORUM GEHT ES BEI NR. 15 DES BESCHLUSSES?
Nach dem relevanten Bund-Länder-Beschluss „vereinbaren“ die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten unter Nr. 15:
„Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19 Maßnahmen betroffen sind, wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-) Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Damit werden Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht.“
Nr. 15 enthält somit einen „Beschluss“ über die gesetzliche Vermutung, dass die Covid-19-Pandemie für die von ihr betroffenen Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstelle.
Eine gesetzliche Vermutung führt im Zivilverfahren dazu, dass das Vorhandensein einer Tatsache widerlegbar vermutet wird (§ 292 ZPO) und hinsichtlich der vermuteten Tatsache eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast erfolgt. Damit müsste zukünftig der Vermieter und nicht mehr der Mieter beweisen, dass eine (Nutzungs-)Beschränkung in Folge der Covid-19-Pandemie gerade keine schwerwiegende Störung der Geschäftsgrundlage infolge der Corona-Pandemie eingetreten ist.
II. WELCHE KONSEQUENZ HAT BESCHLUSS NR. 15 FÜR DIE PRAXIS?
Aus juristischer Sicht: keine
Denn der Bund-Länder-Beschluss ist ein Beschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder, welche alle der Exekutive zuzuordnen sind.
Mit Beschluss Nr. 15 soll die Störung der Geschäftsgrundlage, welche in § 313 BGB normiert ist, hinsichtlich der Einschlägigkeit in der Corona-Pandemie näher bestimmt werden. Um eine gesetzliche Vermutung hinsichtlich einer Bundesnorm zu etablieren, ist jedoch ein Bundesgesetz erforderlich. Ein solches liegt mit dem Beschluss der Exekutive nicht vor. Bundesgesetze werden von der Legislative, dem Bundestag, beschlossen.
Klarzustellen ist, dass der sogenannte „Bund-Länder-Gipfel“ kein eigenständiges und mit eigenen Kompetenzen ausgestattetes Organ ist. Vielmehr handelt es sich um reine Abstimmungen ohne direkte Außenwirkung. Die Länder bzw. der Bund müssen die beschlossenen Maßnahmen im Anschluss jeweils in eigener Kompetenz und in dem jeweils vorgesehenen Verfahren umsetzen, damit diese rechtlich bindend werden.
Dem Grundgesetz ist kein Verbot zu entnehmen, dass sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Bundeskanzlerin über Art, Umfang und Zielrichtung von Maßnahmen der Verwaltung auf Grundlage eines Bundesgesetzes abstimmen. Dies dürfte mit Blick auf die Effektivität von Infektionsschutzmaßnahmen und den durch das Bundesverfassungsgericht anerkannten Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens sogar geboten sein (vgl. auch Wissenschaftlicher Dienst des Dt. Bundesstages, WD 3 – 3000 – 105/20 vom 22.04.2020).
In tatsächlicher Weise: viele
Es ist wohl anzunehmen, dass sowohl Mieter und Vermieter wie auch Richter sich von diesem durch die politischen Spitzen gefassten Beschluss zumindest beeinflussen lassen werden.
III. WELCHE KONSEQUENZEN HÄTTE EIN ENTSPRECHENDES BUNDESGESETZ?
Es ist davon auszugehen, dass die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Störung der Geschäftsgrundlage zeitnah auf Bundesebene durch ein Gesetz normiert werden wird. Dies hätte jedoch nicht per se zur Folge, dass jeder Gewerbemieter oder Pächter ab Inkrafttreten der Vermutung keine oder nur noch die Hälfte der Miete zahlen müsste.
Zunächst ist die Störung der Geschäftsgrundlage lediglich eines der Tatbestandsmerkmale des § 313 BGB. Auch wenn in einem konkreten Fall alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt wären, könnte dennoch keine pauschale Rechtsfolge gezogen werden. Denn diese richtet sich sowohl nach der vertraglichen Risikoverteilung als auch der konkreten Belastung der Parteien. Es muss somit in jedem Einzelfall ermittelt werden, inwiefern Mieter und Vermieter Einbußen erlitten, Überbrückungshilfen erhalten haben oder von sonstigen besonderen Umständen betroffen sind. Dabei wäre beispielsweise auch zu berücksichtigen, ob es sich bei dem Vermieter um eine Privatperson handelt, deren Existenz ebenfalls von den Mieteinnahmen abhängt oder ob der Mieter seine finanziellen Einbußen durch die Überbrückungshilfen abmildern konnte (eben solche Überbrückungshilfen wurden unter Nr. 14 des Beschlusses angekündigt).
Zudem sind viele Mieter nicht unmittelbar von den Corona-Maßnahmen betroffen, so dass von keinerlei Störung der Geschäftsgrundlage auszugehen ist. Die meisten Büromieter können ihrer Tätigkeit weiterhin unverändert in ihren Büroräumen nachgehen. Derartige Fälle sind nicht vergleichbar mit z.B. Mietern von Einzelhandelsgeschäften oder Gastronomiebetrieben, die aufgrund der Lockdown-Maßnahmen ihre Geschäfte bzw. Betriebe nicht mehr öffnen dürfen.
FAZIT:
In jedem Fall ist es keiner der Parteien anzuraten, ohne gemeinsame Absprache die vertraglichen Pflichten eigenmächtig abzuändern.
Interessant ist zudem, dass der Bundestag im Rahmen eines Antrags der LINKEN über eine pauschale Herabsetzung der Nettokaltmieten bereits über die Anwendung des § 313 BGB in der Corona-Pandemie diskutiert hat (BDrs. 19/24042 vom 4.11.2020). In diesem Zuge wurde von der Fraktion der CDU/CSU betont, dass „nicht alle Gewerbetreibenden gleichermaßen betroffen [seien]. Vielmehr komme es auf die jeweilige vertragliche Situation an. Eine generelle abstrakte Abwägung für diese Fälle durch den Gesetzgeber widerspräche daher dem rechtsdogmatischen Grundsatz des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach jeder Vertrag im Einzelfall zu betrachten sei.“ Dem bleibt nichts hinzuzufügen.