Wirtschaftsrecht Frankreich
Brutaler Abbruch etablierter Geschäftsbeziehungen: Kein Schutz für IP-Kanzlei
In einer brandaktuellen Entscheidung vom 4. März 2020[1] hatte die Cour d’appel (Berufungsgerichtshof) von Paris erneut die Gelegenheit, den Schadensersatztatbestand des „brutalen Abbruchs etablierter Geschäftsbeziehungen“ („rupture brutale des relations commerciales établies“), über den wir bereits mehrfach geschrieben haben, zu schärfen. Die Cour d’appel bestätigte in dieser Entscheidung ihre bisherige, einschränkende Auslegung im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich dieser Norm.
Sachverhalt
Der aktuellen Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Klägerin, eine französische Kanzlei für den Schutz geistigen Eigentums (Conseillers en propriété intellectuelle) mit dem originellen Namen Brandstorming, u. a. Schadensersatz von den Beklagten, dem französischen Luxuswarenhersteller Kering S.A. und einiger anderer Konzerngesellschaften, z. B. Balenciaga S.A. und Yves Saint Laurent S.A.S., verlangte. Kering hatte der Markenrechtskanzlei zuvor schriftlich mitgeteilt, dass im Rahmen einer Umstrukturierung die IP-Beratung des Konzerns fortan an eine andere Kanzlei vergeben werde und Brandstorming nur noch bei komplizierteren Fällen und einzelfallbezogen eingeschaltet würde.
Grundlage des Schadensersatzverlangens von Brandstorming war Artikel L. 442-6, Abs. 1, Nr. 5 a. F. Code de commerce (nunmehr Artikel L. 442-1, Abs. 2 Code de commerce), welcher den missbräuchlichen oder brutalen Abbruch etablierter Geschäftsbeziehungen sanktioniert. Brandstorming hatte von 2001 bis 2017 den Schutz geistiger Eigentumsrechte für Kering wahrgenommen.
Argumentation der Markenrechtskanzlei
Brandstorming vertrat die Auffassung, die Vorschrift des Artikel L. 442-6, Abs. 1, Nr. 5 a. F. Code de commerce setze es nicht voraus, dass auch das „Opfer“ des missbräuchlichen Abbruchs die Kaufmannseigenschaft besitze. Darüber hinaus wäre es illusorisch zu verlangen, wie es das erstinstanzliche Handelsgericht getan hatte, dass eine Markenrechtskanzlei keine Geschäftsbeziehungen zu ihren Mandanten unterhalte. In früheren Gerichtsentscheidungen sei anerkannt worden, dass auch andere Freiberufler, beispielsweise Architekten, in den Anwendungsbereich der Norm fielen. Darüber hinaus sei Brandstorming in Form einer kaufmännischen Gesellschaft organisiert.
Begründung der Cour d’appel
Der Berufungsgerichtshof von Paris wischte diese Argumentation mit wenigen Federstrichen weg und bestätigte das abweisende Urteil des Handelsgerichts Paris vom 16. April 2018. Zur Begründung stützten sich die Richter der Cour d’appel auf Artikel L. 422-12 Code de propriété intellectuelle (französisches Gesetzbuch über geistiges Eigentum), welcher die Inkompatibilität des Berufes des IP-Beraters mit jedweder kaufmännischen Tätigkeit bestimmt. Folglich sei der Anwendungsbereich des Artikel L. 442-6, Abs. 1, Nr. 5 a. F. Code de commerce über den brutalen Abbruch etablierter Geschäftsbeziehungen im vorliegenden Fall nicht eröffnet.
Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung
Mit dieser am Wortlaut der Norm orientierten Auslegung des Artikel L. 442-6, Abs. 1, Nr. 5 a. F. Code de commerce bestätigt der Pariser Berufungsgerichtshof die bisherige, im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich dieses Schadensersatzanspruches einschränkende Interpretation der „rupture brutale des relations commerciales établies“. Bereits in der Vergangenheit hatte die französische Rechtsprechung entschieden, dass Berufe, die gemäß ihrer berufsrechtlichen Regeln unvereinbar mit einer kaufmännischen Tätigkeit sind, sich nicht auf einen brutalen Abbruch etablierter Geschäftsbeziehungen berufen können[2]. Dies war beispielsweise für die vertraglichen Beziehungen zwischen einem Notar und seinem Mandanten[3] und zwischen einem Anwalt und dessen Klienten[4] so entschieden worden, nicht dagegen für die Vertragsbeziehung zwischen einem Architekten und seinem Kunden, der sich nach der Rechtsprechung der Cour de cassation sehr wohl auf Artikel L. 442-6, Abs. 1, Nr. 5 a. F. Code de commerce berufen können soll[5].
Fazit
Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass der Tatbestand des brutalen Abbruchs etablierter Geschäftsbeziehungen äußerst gefährlich für denjenigen sein kann, der eine bereits seit längerem bestehende geschäftliche Beziehung aufkündigen möchte. Dies gilt auch bei grenzüberschreitenden Verträgen im deutsch-französischen Rechtsverkehr. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich dieser Vorschrift lohnt es sich in jedem Fall, genau hinzuschauen: während Architekten grundsätzlich zu den Personengruppen gehören, die in ihren langjährigen Geschäftsbeziehungen durch diese Norm geschützt werden, gilt dies nicht für Markenrechts- und Patentanwälte, Notare und Rechtsanwälte mit ihren strengen, jede kaufmännische Tätigkeit ausschließenden Berufsrechten.
[1] Cour d’appel von Paris, 4. März 2020, n° 18/15532
[2] Vgl. hierzu Saadoun, La Lettre des Réseaux, https://www.lettredesreseaux.com/P-3185-452-A1-rupture-brutale-des-relations-commerciales-etablies-champ-d-application-rationae-personae.html
[3] Cass. com. 20.01.2009, n° 07-17556
[4] Cass. Com. 24.11.2015, n° 14-22578
[5] Cass. com., 16.12.2008, n° 07-18050