Immobilien- & Baurecht
Wann muss ein privater Bauherr für ein einzelnes Bauprojekt zur Vergabekammer – und wann nicht?
Oftmals wird bei geförderten Bauvorhaben im Zuwendungsbescheid über Nebenbestimmungen (z.B. die jeweiligen ANBest-P) konkret vorgegeben, dass „Vergaberecht anzuwenden“ ist. Zumeist wird hier „nur“ die Anwendung des nationalen Vergaberechts im Unterschwellenbereich (VOB/A 1. Abschnitt) vorgegeben.
Die Anwendung von EU-Vergaberecht richtet sich dagegen nach den Maßstäben des EU-Rechts. Dies kann dazu führen, dass auch bei einem Zuwendungsbescheid, der in den Nebenbestimmungen KEINE Vorgaben macht, EU-Vergaberecht für das Bauvorhaben zwingend anzuwenden ist.
1. Ausschreibungspflicht nach europäischem Vergaberecht gem. § 99 Nr. 4 GWB für öffentlich finanzierte Gebäude des Gemeinwesens
a. Gemäß § 99 Nr. 4 GWB sind Bauherren als Auftraggeber – projektbezogen – Öffentlicher Auftraggeber nach EU-Recht, wenn sie als juristische Person des privaten Rechts […], in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Wettbewerbe von Stellen, die aus anderen Gründen öffentliche Auftraggeber sind, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 Prozent subventioniert werden.[1]
b. Die Projekt-Begriffe werden dabei weit ausgelegt. So werden beispielsweise unter dem Begriff „Krankenhäuser“ nach bisheriger Rechtsprechung auch andere Einrichtungen verstanden, die neben den der medizinischen Akutversorgung verpflichteten Kliniken ebenfalls der Erbringung medizinischer Versorgung dienen, wie dies z.B. bei Altenheimen oder Pflegeheimen der Fall ist (ausdrücklich für ein Altenheim OLG Düsseldorf, 13.01.2014 - VII-Verg 11/13; Ziekow, in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage 2024, § 99 GWB Rn. 125).
c. Zudem kommt es auf den Gesamtauftragswert des (Ersatz-)Bauvorhabens an. Der relevante Schwellenwert liegt derzeit bei EUR 5.538.000 (netto).
2. Auftragswertschätzung für die Schwellenwertberechnung
Kommt es gerade auf die Schwellenwert an, muss sowohl die Vergabepflicht als auch ein Absehen von einer Vergabe sorgfältig dokumentiert werden. Daher muss insbesondere die Gesamtauftragswertschätzung für das Bauvorhaben genau dargestellt werden. In Bezug auf die Auftragswertschätzung gelten folgende Grundsätze:
a. Grundsätzlich sind für die Auftragswertschätzung gem. § 3 Abs. 7 VgV alle Lose/Gewerke zusammenzurechnen, die funktional für das Bauvorhaben erforderlich sind.
Dies sind im Einzelnen insbesondere die Kosten des Bauwerks, der Baustelleneinrichtung, der Baukonstruktion, der Installationen, der zentralen Betriebstechnik, der betrieblichen Einbauten und der funktional erforderlichen Ausstattung.
b. Strittige Punkte in Bezug auf die Auftragswertschätzung
Strittig sind hierbei einzelne Punkte, beispielsweise die Frage, ob die Kostengruppe 700 der DIN 276 (Baunebenkosten einschließlich Planungsleistungen) mit in den Gesamtwert einzurechnen ist. Das OLG Schleswig Beschluss v. 28.01.2021 - 54 Verg 6/20) geht bspw. davon aus, dass die Leistungsphasen 6-9 der Planungsleistungen nicht berücksichtigt werden müssen (A.A. eine ältere Entscheidung der VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.07.2014 - 2 VK LSA 02/14).
c. Dokumentation, insbesondere der in die Schätzung eingeflossenen Vergleichswerte
Um das Schätzergebnis gemäß den strengen vergaberechtlichen Vorgaben zu dokumentieren, sollten für die einzelnen Schätzwerte der Kostengruppen (auch in weiteren Ebenen) auch die Vergleichskennwerte bzw. die eingeflossenen Kennwerte dokumentiert werden. Dies führt dazu, dass für diese Schätzung in vielen Fällen externer Sachverstand beauftragt werden muss, soweit diese Kenntnisse nicht beim Auftraggeber selbst vorhanden sind.
3. Keine „Einzel-Vergabepflichtigkeit“ von projektbezogenen Dienstleistungen (Projektsteuerung / Planungsleistungen)
Wichtig: Ist das Gesamt-Projekt nicht EU-vergabepflichtig, sind in Folge auch die weiteren Dienstleistungen für das Projekt nicht EU-vergabepflichtig.
Denn nach ganz herrschender Meinung in der Literatur fallen auch überwiegend subventionierte Dienstleistungsaufträge oder Wettbewerbe, die mit dem Bauauftrag in Verbindung stehen, nur dann unter § 99 Nr. 4 GWB, wenn auch der Bauauftrag selbst unter § 99 Nr. 4 GWB fällt. Dies ergibt sich auch eindeutig aus Art. 13 Satz 1 lit. b. der zu Grunde liegenden Vergaberichtlinie RL 2014/24/EU (siehe Ziekow, in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, § 99 Rn. 128).
[1] Unabhängig hiervon ist die Frage, ob der Bauherr selbst aus anderen Gründen als öffentlicher Auftraggeber gilt, z.B. weil die Rechtsperson, die Bauherr ist, insgesamt überwiegend aus öffentlichen Geldern finanziert ist.