IT/Datenschutz
Barrierefreie Websites – Pflichten für Unternehmer ab dem 28.06.2025
Am 28.06.2025 tritt das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine große Chance auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Für Unternehmer, die ihre Waren oder Dienstleistungen im E-Commerce anbieten, entsteht aber auch Handlungsbedarf. Wir geben einen Überblick über wichtige Fragen.
I. Für wen gilt das BFSG?
Das BFSG gilt grundsätzlich für alle Unternehmer. Während bisher durch das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) lediglich die öffentliche Hand betroffen war, erstreckt sich die Pflicht zur barrierefreien Ausgestaltung bestimmter Waren und Dienstleistungen jetzt auch auf private Wirtschaftsakteure.
Ausnahmen gelten gemäß § 3 Absatz 3 BFSG für Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanz sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft.
II. Für was gilt das BFSG?
Das BFSG beansprucht nicht für jede wirtschaftliche Tätigkeit Geltung. Es hat aber einen denkbar weiten Regelungsanspruch.
Am wichtigsten für die Praxis wird § 1 Absatz 3 Nr. 5 BFSG sein: demnach gilt das BFSG für „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“. Eine solche Dienstleistung ist gemäß § 2 Nr. 26 BFSG wie folgt definiert:
„Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr: digitale Dienste nach § 1 Absatz 4 Nummer 1 des Digitale-Dienste-Gesetzes, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauches im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrages erbracht werden“.
Unter den Begriff eines digitalen Dienstes fallen zunächst einmal alle Webseiten, wie der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zum BFSG klarstellt (BT DS 19/28863, S. 65).
Die dortigen Dienste werden „im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrages“ erbracht, wenn Verbrauchern ermöglicht wird, mindestens einen Teil eines Vertragsschlusses über die Website zu tätigen. Nach Auffassung der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit sollen lediglich solche Websites nicht unter das BFSG fallen, die „reine Präsentationswebsites sind“, die also „entweder ausschließlich informativ sind“ oder „auf welcher Produkte und Dienstleistungen lediglich beworben werden“.
Bei entsprechend weiter Auslegung – die sich in der Praxis sicherlich noch bewähren muss – lösen die Pflicht zur barrierefreien Ausgestaltung z.B. aus:
- Bestellformulare,
- Formulare zur Kontaktaufnahme für einen Vertragsschluss,
- Möglichkeiten zur Reservierungsanfrage und Terminbuchung.
III. Was bedeutet „barrierefrei“ für eine Website?
Barrierefreiheit wird gemäß § 4 BFSG vermutet, wenn das Produkt oder die Dienstleistung „harmonisierten Normen oder Teilen von entspricht, deren Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind“.
Für die Barrierefreiheit im digitalen Raum ist diese harmonisierte Norm die EN 301 549. Diese verweist wiederum in ihrem 9. Abschnitt auf die „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG). Hier findet sich eine breite Liste an technischen Vorgaben, die den Grundprinzipien „Wahrnehmbarkeit“, „Bedienbarkeit“, „Verständlichkeit“ und „Robustheit“ folgen. Zur barrierefreien Ausgestaltung einer Webseite bedeutet das unter anderem:
- Zu Wahrnehmung von Informationen gibt es mehrere Alternativen (Text, Bild, Ton).
- Die Website folgt einem verständlichen und vorhersehbaren Schema und sieht die Möglichkeit einfacher Sprache vor.
- Die Website ist innerhalb angemessener Reaktionszeit und ohne überfordernde Reize (Blinken, Blitzen) bedienbar.
Neben dieser Vermutung der Barrierefreiheit enthält die gemäß § 3 Absatz 2 BFSG verbindliche Verordnung zum Barrierefreiheitsgesetz (BFSGV) konkrete Mindestanforderungen, die jedenfalls einzuhalten sind. Inhaltlich folgen auch diese Anforderungen den Grundsätzen der WCAG.
IV. Muss tatsächlich die gesamte Website barrierefrei ausgestaltet werden?
Voraussichtlich ja. Meistens ist nicht jede Rubrik einer Website auf einen Vertragsschluss gerichtet. Auch kann es gesonderte Bereiche geben, die erst nach einem Log-In zugänglich sind. Hierzu wird in der Praxis häufig die Frage aufkommen, ob ein Teil einer Website den gesamten Internetauftritt „infiziert“. Das Gesetz selbst ist leider nicht eindeutig, sondern spricht nur von einer barrierefrei auszugestaltenden „Dienstleistung“ (§ 3 Absatz 1 Satz 1 BFSG).
Deutlicher sind die Leitlinien des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Unterfällt lediglich ein bestimmter Bereich (z.B. ein Check-out-Bereich) dem Begriff einer Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr, dann gilt demnach trotzdem:
„Die gesamte Website inklusive Check-out ist nach den Vorschriften des BFSG barrierefrei zu gestalten“.
Tatsächlich deuten auch einige weitere Formulierungen des BFSG darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht nur einzelne Rubriken einer Website im Blick hat, sondern im Zweifel die gesamte Website barrierefrei auszugestalten ist. Sicherlich gäbe es hier auch Argumente aus dem Gesetz, die gegen eine solche weite Auslegung sprechen. Bis durch erste, gerichtliche Entscheidung Klarheit geschaffen wird, sollte aber nach dem rechtlich sichersten Weg von einer weiten Erstreckung der Pflicht zur Barrierefreiheit ausgegangen werden.
V. Gibt es Ausnahmen?
Ja. §§ 16, 17 BFSG sehen die Möglichkeit einer teilweisen Befreiung von der Pflicht zur barrierefreien Ausgestaltung vor. Dies kann gelten, soweit durch die Barrierefreiheit eine „grundlegende Veränderung“ der angebotenen Dienstleistung eintritt. Außerdem, soweit hierdurch eine „unverhältnismäßige Belastung“ gegeben wäre. In beiden Fällen muss aber dokumentiert werden, wieso eine dieser Ausnahmen einschlägig sein kann. Zudem muss die zuständige Überwachungsbehörde (die „Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen“) kontaktiert werden. Die vorgesehenen Ausnahmen sind daher erkennbar nicht dazu geeignet, im Nachhinein eine Verteidigung zu liefern. Sie sollten vielmehr Gegenstand einer vorab sorgfältig erarbeiteten Strategie sein.
VI. Wie geht es weiter?
Ab dem 28.06.2025 gilt für die meisten Produkte und Dienstleistungen, die dem BFSG unterfallen, die gesetzliche Pflicht. Ob unmittelbar ab diesem Tag behördliche Maßnahmen (z.B. bestimmte Zwangsmaßnahmen nach § 29 BFSG, Bußgelder nach § 37 BFSG in Höhe von bis zu 100.000,00 € je nach Verstoß) für jede Nichtumsetzung der Pflichten des BFSG erlassen werden, ist fraglich.
Da aber das BFSG vermutlich auch sogenannte „Marktverhaltensregelungen“ enthält, steht es Wettbewerbern offen, Verstöße gegen das BFSG als Verstöße gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) abzumahnen. Neben dem Vorteil, den eine barrierefreie Ausgestaltung der eigenen Website für die Erschließung neuer Zielgruppen und die Stärkung der eigenen Marke liefern kann, ist die rechtliche Komponente daher nicht zu unterschätzen.