Immobilien- & Baurecht
Gesetzgebung: Weitreichende Änderungen der Bayerischen Bauordnung (BayBO) geplant – Teil 2 (Verfahrensrecht)
Mit ihrem Gesetzesvorschlag zur Reform der Bayerischen Bauordnung (BayBO) will die Staatsregierung grundlegende Veränderungen im Bauordnungsrecht auf den Weg bringen. Der vorliegende Beitrag untersucht die Modifikationen, die für das bauaufsichtliche Genehmigungsverfahren vorgesehen sind und beleuchtet ihre Folgen für die Verfahrensbeteiligten.
(Die geplanten Modifikationen im Abstandsflächenrecht wurden bereits in Teil 1 des Beitrags vom 11.12.2019 untersucht.)
1. Typengenehmigung
Ein erster Aspekt betrifft die sog. Typengenehmigung nach Art. 73a BayBO n.F. Die Typengenehmigung ist in anderen Bundesländern bereits bekannt. Sie betrifft bauliche Anlagen, die mehrfach in derselben Ausführung errichtet werden sollen. Um serielles Bauen verfahrensmäßig zu erleichtern, soll die oberste Bauaufsichtsbehörde für derartige Anlagen künftig eine allgemeine bautechnische Genehmigung erteilen können, die es entbehrlich macht, für jedes Bauvorhaben, das entsprechend des seriellen Bauplans errichtet wird, technische Nachweise für die Genehmigung im Einzelfall zu erbringen. Die Typengenehmigung wirkt daher wie ein bautechnischer Nachweis i.S.v. Art. 62 ff. BayBO. Sie ist für fünf Jahre gültig. Der Zeitraum kann von der Behörde um weitere fünf Jahre verlängert werden. Vergleichbare Typengenehmigungen aus anderen Bundesländern werden auch in Bayern anerkannt.
Eine Typengenehmigung entbindet einen Bauherrn indes nicht davon, die verfahrensmäßigen Anforderungen nach Art. 58 bis 60 BayBO einzuhalten und damit im Einzelfall eine notwendige Baugenehmigung einzuholen. Diese dürfte ihm freilich im Falle einer vorliegenden Typengenehmigung unter erleichterten Bedingungen erteilt werden.
2. Digitalisierung des bauaufsichtlichen Verfahrens
Mit ihrer Novelle will die Staatsregierung die Voraussetzungen für eine Digitalisierung des Bauantragsverfahrens schaffen. Ein digitaler Bauantrag soll auch durch die Gesetzesänderung nicht verpflichtend werden. Es soll aber die Möglichkeit geschaffen werden, die Vorteile der Digitalisierung im bauaufsichtlichen Verfahren zu nutzen. Zu diesem Zweck soll der Staatsregierung gem. Art. 80a BayBO das Recht eingeräumt werden, durch Verordnung räumlich bestimmte Abweichungen von den Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften der BayBO vorzusehen. Sie kann damit das Pilotprojekt „Digitale Baugenehmigung“ vorantreiben, das ab dem 3. Quartal 2020 gestartet werden soll. Einige Landratsämter werden ab diesem Zeitpunkt die digitale Bearbeitung von Bauanträgen testen. Bauherrn sollen dann in elektronischer Form mit den Behörden kommunizieren können (vgl. Art. 65 BayBO) und ihren Bauantrag in digitaler Version einreichen können.
Für die Nachbarbeteiligung hat die digitale Einreichung eines Bauantrags zur Konsequenz, dass ein Nachbar seine Zustimmung zum Vorhaben nicht mehr durch Unterschrift auf dem Bauantrag signalisieren kann. Er muss zu diesem Zweck künftig eine Erklärung in Schriftform gegenüber dem Bauherrn abgeben (Art. 66 Abs. 1 S. 2 BayBO n.F.). Der Bauherr hat der Behörde sodann mitzuteilen, ob die Nachbarn ihre Zustimmung erteilt haben (Art. 66 Abs. 1 S. 3 BayBO). Die schriftlichen Erklärungen der Nachbarn hat er jedoch selbst aufzubewahren. Im Konfliktfall trägt der Bauherr die Beweislast darüber, ob ein Nachbar dem Vorhaben zugestimmt hat.
Die Behörde selbst hat künftig die Möglichkeit, auch mit anderen, am bauordnungsrechtlichen Verfahren zu beteiligenden Stellen digital zu kommunizieren (vgl. Art. 65 BayBO). Eine Baugenehmigung muss aber nach wie vor in Schriftform erteilt werden, Art. 68 Abs. 3 S. 1 n.F.
3. Genehmigungsfiktion
Neue Wege beschreitet der Gesetzesentwurf mit der geplanten Einführung einer Genehmigungsfiktion.
a. Geplante Regelung
Nach Art. 68 Abs. 2 BayBO n.F. soll ein vollständig eingereichter Bauantrag künftig als genehmigt gelten, wenn die Baubehörde nicht innerhalb von drei Monaten über ihn entscheidet. Ziel dieses Vorschlags ist es, eine zügige Wohnraumschaffung zu fördern. Die Fiktion gilt daher nur für Vorhaben, die die Errichtung oder Änderung eines Gebäudes betreffen, das mit mehr als der Hälfte der Nutzfläche zu Wohnzwecken genutzt werden soll und das keinen Sonderbau darstellt. Zu diesem Zweck sollen in der BayBO neue verfahrensrechtliche Regelungen geschaffen werden.
Nach wie vor hat ein Bauherr die Pflicht, einen Bauantrag bei der Gemeinde einzureichen, in der er sein Vorhaben realisiert will. Die Gemeinde leitet den Antrag an die untere Bauaufsichtsbehörde, in der Regel das Landratsamt, weiter. Sind die Unterlagen vollständig, hat die Bauaufsichtsbehörde dies innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Bauantrags gegenüber dem Bauherrn zu bestätigen. Andernfalls hat sie den Bauherrn aufzufordern, etwaige Mängel oder Unvollständigkeiten innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen. Kommt der Bauherr dem Verlangen nicht nach, gilt der Bauantrag als zurückgenommen, sofern die Behörde den Bauherrn zuvor auf diese Folge hingewiesen hat.
Zeigt die Behörde dem Bauherrn an, dass die Unterlagen vollständig eingereicht sind, läuft eine Genehmigungsfrist von drei Monaten. Innerhalb dieser Frist hat die Behörde über den Bauantrag zu entscheiden. Tut sie dies nicht, tritt kraft Gesetzes eine Genehmigungsfiktion ein. Der Bauantrag gilt dann als genehmigt, ohne dass dafür eine explizite schriftliche Gestattung von Seiten der Behörde nötig wäre. Gleichwohl soll die Behörde nach dem Gesetzesvorschlag dazu verpflichtet sein, dem Bauherrn, der betreffenden Gemeinde und etwaigen Nachbarn, die dem Vorhaben nicht zugestimmt haben eine Bescheinigung über den Fiktionseintritt zuzustellen. Die Bescheinigung tritt an die Stelle der Baugenehmigung.
Die Genehmigungsfiktion soll ausschließlich für eine reguläre Baugenehmigung gelten, nicht dagegen für eine Teilbaugenehmigung und einen Vorbescheid, vgl. Art. 70 S. 2 und Art. 71 S. 4 BayBO n.F.
b. Wirkungen der Genehmigungsfiktion gegenüber dem Bauherrn
Für den Bauherrn ist wichtig, dass die Fiktion dieselben Wirkungen hat wie eine Baugenehmigung. Sie gestattet den Bau des geplanten Vorhabens. Ebenso wie eine Baugenehmigung kann sie aber auch von einem Nachbarn gerichtlich angefochten werden. Stellt die Behörde – wie es der Gesetzesvorschlag von ihr verlangt – dem betreffenden Nachbarn eine Bescheinigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion samt Rechtsbehelfsbelehrung zu, hat er einen Monat Zeit eine Klage bei Gericht einzureichen. Unterlässt es die Behörde, eine solche Bescheinigung an den Nachbarn zuzustellen, läuft keine spezifische Klagefrist. Bei tatsächlicher Kenntnis des Nachbarn von der Genehmigungsfiktion kann er aber sein Klagerecht verwirken, wenn er der Bauausführung tatenlos zusieht und sich über einen längeren Zeitraum bewusst nicht gegen das Vorhaben zur Wehr setzt. Vor dem Hintergrund des § 58 Abs. 2 VwGO wird eine solche Verwirkung anzunehmen sein, wenn der Nachbar ein Jahr verstreichen hat lassen, nachdem er von der Genehmigungsfiktion erfahren hat oder sich ihm der Eintritt der Genehmigungswirkung aufdrängen hätte müssen. Um etwaige Unklarheiten im Hinblick auf eine mögliche Klageerhebung durch einen Nachbarn zu vermeiden, sollte ein Bauherr freilich darauf hinwirken, dass die Behörde den betroffenen Nachbarn, die dem Bauvorhaben nicht zugestimmt haben, den Eintritt der Genehmigungsfiktion schriftlich bestätigt.
Weiter muss ein Bauherr auch damit rechnen, dass die Baubehörde die Fiktion unter den Voraussetzungen der Art. 48, 49 BayVwVfG zurücknimmt bzw. widerruft. Gem. Art. 48 Abs. 1, 3 BayVwVfG hat sie die Möglichkeit zur Rücknahme insbesondere dann, wenn die fingierte Genehmigung nicht im Einklang mit dem materiellen Baurecht steht. Ein Bauherr darf sich also bei einer fingierten Genehmigung nicht ohne Weiteres darauf verlassen, dass die Baubehörde die Realisierung des Vorhabens einfach hinnimmt. Vielmehr trägt er beim Eintritt einer Genehmigungsfiktion eine umso größere Verantwortung dafür, dass sein Vorhaben im Einklang mit dem Baurecht steht (vgl. auch Art. 55 Abs. 2 BayBO n.F.). Verstößt sein Vorhaben gegen baurechtliche Vorgaben, kann die Behörde nicht nur die Fiktion aufheben. Sie hat unter Umständen auch die Möglichkeit, den Bau einzustellen, die Nutzung der Anlage zu untersagen oder im schlimmsten Fall den Abriss des Gebäudes zu verfügen.
Abschließend sei angemerkt, dass ein Bauherr auch beim Eintritt einer Genehmigungsfiktion den Baubeginn bei der Behörde anzeigen muss.
c. Folgen für die Praxis
Die Praxis wird zeigen, wie häufig die Baubehörden es auf den Eintritt einer Genehmigungsfiktion ankommen lassen werden. Die Staatsregierung verfolgt mit ihrem Vorschlag zwar das an sich hohe Ziel, dass ein bauaufsichtliches Verfahren in der gebotenen Kürze abgeschlossen werden soll. Es darf aber auch nicht unterschätzt werden, welche Bedeutung eine geordnete und umfangreiche Prüfung eines Bauantrags durch die Behörde hat. Durch die fachkundige Prüfung eines Bauantrags können insbesondere bauplanungs- und – soweit die entsprechenden Vorgaben zu prüfen sind – bauordnungsrechtliche Mängel erkannt werden. Die Behörde nimmt hier nicht nur eine städtebauliche Ordnungsfunktion wahr, sondern hilft auch dabei, nachbarrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden.
Vor diesem Hintergrund kann die Behörde insbesondere durch die Erteilung von Auflagen oder einer modifizierenden Genehmigung darauf hinwirken, dass sämtliche öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Realisierung eines Vorhabens beachtet werden. Sie kann beispielsweise die Einhaltung größerer Abstandsflächen oder die Schaffung von ausreichend Stellplätzen verlangen. Auch natur- oder immissionsschutzrechtliche Auflagen sind denkbar. Die Praxis zeigt, dass nahezu jeder Baugenehmigung Nebenbestimmungen beigefügt werden. Im Falle einer Genehmigungsfiktion wird diegrundsätzliche Gestattung des Vorhabens nicht um derartige Auflagen ergänzt.
Im Übrigen zeigt die Praxis aus anderen Bundesländern, in denen eine Genehmigungsfiktion bereits in der Landesbauordnung verankert ist, dass es eine Baubehörde in gewissem Maße in der Hand hat, durch Nachforderung hinsichtlich der eingereichten Bauantragsunterlagen die Fälligkeitsmitteilung zu verzögern. Gegen diese teilweise unschöne Verwaltungspraxis kann sich der Bauherr kaum wehren.
Machen die Bauämter ihre bereits vereinzelt erfolgten Äußerungen wahr, dürfte im Übrigen künftig auch mit einer größeren Zahl an Ablehnungen von Bauanträgen zu rechnen sein. Denn es kann durchaus sein, dass aufgrund des Zeitdrucks eine Beratung des Bauherrn zur Nachbesserung eines (geringfügig fehlerbehafteten) Bauantrags unterbleibt und stattdessen der Antrag wegen der drohenden Genehmigungsfiktion abgelehnt wird. Daher gilt künftig noch mehr als bisher, dass sich Architekten und Planer möglichst frühzeitig und intensiv mit den Genehmigungsbehörden zu kritischen Themen eines Vorhabens abstimmen sollten, um nicht wegen drohender Genehmigungsfiktion eine Ablehnung des Bauantrags zu riskieren.
Hinsichtlich der geplanten Änderungen im Abstandsflächenrecht verweisen wir auf den Blogbeitrag Gesetzgebung: BayBO-Novelle - Weitreichende Änderungen der Bayerischen Bauordnung (BayBO) geplant – Teil 1 (Abstandsflächenrecht).