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Gesetzgebung: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verabschiedet, Hinweisgeberschutzgesetz und Verbandssanktionengesetz für gescheitert erklärt.
Der Bundestag hat am 11.06.2021 das lange umstrittene Lieferkettengesetz verabschiedet, das offiziell nun den Namen Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (kurz: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - LkSG) trägt.
Während das Hinweisgeberschutzgesetz („Whistleblower-Gesetz“) sowie das Verbandssanktionengesetz („Unternehmensstrafrecht“) auf den letzten Metern der Legislaturperiode von den Koalitionsparteien als gescheitert bezeichnet wurden, konnte hier noch eine Einigung erzielt werden.
Durch das Gesetz sollen Unternehmen verpflichtet werden, entlang der gesamten Lieferkette ein Verfahren zur Gewährleistung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht einzuführen.
Aus diesem Anlass erfolgt hier eine kurze Darstellung
- der wesentlichen Inhalte des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes,
- der nahenden europarechtlichen Überformung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und
- der sich daraus ergebenden Handlungserfordernisse für Unternehmen.
1. Zu den wesentlichen Inhalten:
Das LkSG ist in sechs Abschnitte gegliedert:
- Abschnitt 1 (§§ 1 - 2): Allgemeine Bestimmungen
- Abschnitt 2 (§§ 3 – 10): Sorgfaltspflichten
- Abschnitt 3 (§ 11): Zivilprozess
- Abschnitt 4 (§§ 12 – 21): Behördliche Kontrolle und Durchsetzung
- Abschnitt 5 (§ 22): Öffentliche Beschaffung
- Abschnitt 6 (§§ 23, 24): Zwangsgeld und Bußgeld
Aus dem Aufbau ergibt sich auch schon der wesentliche Regelungsgehalt des Gesetzes: Unternehmen einer gewissen Größe (§ 1) werden Sorgfaltspflichten (§§ 3 ff.) in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte (§ 2) in der Lieferkette auferlegt. Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten wird maßgeblich durch Behörden überwacht (§§ 12 ff.) – bei Verstoß drohen Zwangs- und Bußgelder (§ 23 f.); ein bekannter Mechanismus also (vgl. zum Beispiel auch das Geldwäschegesetz).
1.1. Inkrafttreten und persönlicher Anwendungsbereich
Das Gesetz wird zum 01.01.2023 in Kraft treten. Dabei werden stufenweise ab 2023 zunächst Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden verpflichtet (derzeit ca. 700 Unternehmen in Deutschland) und ab 2024 Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitetenden (derzeit ca. 2.900 Unternehmen in Deutschland), § 1 Abs. 1 LkSG.
Das Gesetz gilt dabei auch für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen in Deutschland. Die Arbeitnehmerzahl wird anhand der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer errechnet, wobei die ins Ausland Entsendeten mitberücksichtigt werden. Konzernstrukturen führen zur Zurechnung, § 1 Abs. 3 LkSG.
1.2. Zum Begriff der „Menschenrechte“ und dem umweltbezogenen Risiko nach dem LkSG
Gegen eine allzu freie Auslegung des Begriffes der „Menschenrechte“ durch Behörden und Gerichte hat der Gesetzgeber vorgebeugt. Zum einen wurde kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes das Wort „Menschenrechte“ durch den Begriff der „Geschützten Rechtspositionen“ ersetzt. Zum anderen definiert § 2 LkSG sowohl den Begriff der „Geschützten Rechtspositionen“ im Sinne des LkSG als auch das sog. menschenrechtliche Risiko. Neben dem Schutz grundlegender Menschenrechte sind auch Umweltbelange relevant, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen führen.
- § 2 Abs. 1 LkSG verweist für die „Geschützten Rechtspositionen“ auf die in den Nr. 1 – 11 der Anlage aufgelisteten Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte. Diese „menschenrechtliche Essenz“ aus den Übereinkommen hat der Gesetzgeber dann in § 2 Abs. 2 in eine Definition des sog. „menschenrechtlichen Risikos“ gegossen. Ein menschenrechtliches Risiko besteht bei hinreichend wahrscheinlichem Verstoß gegen die in den Tatbeständen Nr. 1 – 12 enthaltenen Verbote. Das sind v.a. das Verbot der Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Sklaverei, Arbeitsschutz, Koalitionsfreiheit, Diskriminierung und angemessener Lohn. Da Nr. 12 auch eine Generalklausel bzgl. der in Abs. 1 „geschützten Rechtspositionen“ enthält, kann es vorkommen, dass auch die Übereinkommen selbst zu Rate gezogen werden müssen.
Das sog. umweltbezogene Risiko wird in § 2 Abs. 3 und Abs. 4 behandelt (v.a. gesundheitsschädliche Stoffe – z.B. Quecksilber).
1.3. Zum Begriff der Lieferkette, § 2 Abs. 5 LkSG
Die Lieferkette umfasst nach § 2 Abs. 5 LkSG die gesamten Schritte zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen des Unternehmens und damit
- das Handeln im eigenen Geschäftsbereich,
- das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers und
- das Handeln eines mittelbaren Zulieferers
Während der unmittelbare Zulieferer ein Vertragspartner ist, ist der mittelbare Zulieferer jedes andere Unternehmen, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistungen notwendig sind. Angesichts dieser Weite ist die Bestimmung der Unternehmen in der Lieferkette also eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.
1.4. Sorgfaltspflichten für die betroffenen Unternehmen
Für die Unternehmen, die unter den Anwendungsbereich fallen, legen die §§ 3 ff. LkSG bestimmte Sorgfaltspflichten fest. Dabei gibt der Gesetzgeber den Unternehmen in § 3 Abs. 1 LkSG ein Handlungsprogramm vor, das in den nachfolgenden Paragrafen dann konkretisiert wird:
- Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit, § 4 Abs. 3 LkSG
- u.a. Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten
- Einrichtung eines Risikomanagements, § 4 Abs. 1 LkSG
- Jährliche sowie weitere, anlassbezogene Risikoanalysen bzgl. menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken, § 5 LkSG
- Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie, § 6 Abs. 2 LkSG
- Angemessene Präventionsmaßnahmen, § 6 Abs. 3 LkSG
- Abhilfemaßnahmen bzgl. eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Verletzungen, § 7 LkSG
- Beschwerdeverfahren für Verletzte oder Personen mit Kenntnis von Verletzungen, § 8 LkSG
- Jährliche Dokumentations- und Berichtspflicht bzgl. der Erfüllung der Sorgfaltspflichten, § 10 LkSG – Veröffentlichung auf der Internetseite
Wer sich mit der Umsetzung von Compliance-Themen im Unternehmen beschäftigt, dem fällt bei der Lektüre der Vorgaben auf: der Bezugspunkt (Menschenrechte) ist neu, die anzustoßenden Prozesse und die Mittel des Risikomanagements sind allerdings gut bekannt.
Die Sorgfaltspflichten sind dabei nach den unterschiedlichen Gliedern der Lieferkette abgestuft:
- eigener Geschäftsbereich – höchste Anforderungen
- unmittelbare Zulieferer – teilw. abgestufte Anforderungen (v.a. bzgl. Abhilfe)
- mittelbare Zulieferer (§ 9 Abs. 3 LkSG) – Sorgfaltspflichten nur anlassbezogen bei substantiierter Kenntnis von möglichen Verletzungen
Gleichzeitig orientiert sich der Umfang der Sorgfaltspflichten auch am Einzelfall, also an den spezifischen Gegebenheiten des konkreten Unternehmens und seiner Lieferkette: Einzubeziehen sind v.a.:
- die typischerweise zu erwartende Schwere der Verletzungen,
- die Art des Verursachungsbeitrags des Unternehmens und
- das Einflussvermögen des Unternehmens in der Lieferkette
Im Übrigen sind folgende Punkte hervorzuheben:
- Die Sorgfaltspflichten sind nur Bemühenspflichten und keine Erfolgspflichten bzgl. der Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette. Der Gesetzgeber macht klar: Von keinem Unternehmen wird etwas rechtlich oder tatsächlich Unmögliches verlangt. Es ist denkbar, dass (z.B. im Rohstoffbereich) eine Lieferkette nicht bis zu Ende nachverfolgbar ist. Genauso können Präventions- oder Abhilfemaßnahmen aufgrund fehlender Einflussmöglichkeiten faktisch nicht durchführbar sein.
- Die Ergebnisse der Risikoanalyse sind an die maßgeblichen Entscheidungsträger, etwa an den Vorstand oder an die Einkaufsabteilung zu kommunizieren und von diesen bei den Entscheidungen zu berücksichtigen – auch die Einhaltung der Menschenrechte ist also Chefsache.
- Die Risikoanalyse ist jährlich und anlassbezogen durchzuführen, d.h. z.B. zusätzlich bei der Einführung neuer Produkte mit Veränderungen in der Lieferkette.
- Die Einhaltung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen sind vom unmittelbaren Zulieferer vertraglich zuzusichern sowie entsprechende Kontrollmechanismen zu vereinbaren – Verträge müssen also zwingend entsprechende Klauseln enthalten – hier besteht Anpassungsbedarf.
- Der Abbruch einer Geschäftsbeziehung ist nur geboten, wenn schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorliegen und Maßnahmen dagegen erfolglos waren.
- Im eigenen Geschäftsbereich müssen Unternehmen im Fall einer Verletzung im Inland unverzüglich Abhilfemaßnahmen ergreifen, die zwingend zur Beendigung der Verletzung führen. Kontrollierte Tochterunternehmen im Ausland werden zum eigenen Geschäftsbereich gerechnet und gelten nicht als erster Zulieferer.
- Bei Menschenrechtsverletzungen durch unmittelbare Zulieferer muss das Unternehmen einen konkreten Plan zur Minimierung und Vermeidung erstellen, wenn es die Verletzung nicht in absehbarer Zeit beenden kann.
1.5. Folgen der Verletzung der Sorgfaltspflichten
Die Aufsicht führt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, § 19 LkSG.
Bei Verstößen gegen das Gesetz sind Bußgelder möglich. Bußgeldbewehrt ist vor allem die Nichterfüllung der oben genannten Sorgfaltspflichten (§ 24 LkSG). Dabei kann in bestimmten Fällen auch eine Geldbuße bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes ausgesprochen werden.
Aufdeckungsbemühungen des Unternehmens bzw. nach der Ordnungswidrigkeit implementierte Vorkehrungen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten wirken mildernd.
Unternehmen können bei schwerwiegenden Verstößen auch bis zu drei Jahre von der öffentlichen Beschaffung ausgeschlossen werden.
Zudem können Betroffene von Menschenrechtsverletzungen ihre Rechte nicht nur vor deutschen Gerichten geltend machen, sondern jetzt auch Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einreichen, § 14 LkSG.
Deutsche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen dürfen außerdem im Ausland Betroffene bei der Vertretung ihrer Rechte vor deutschen Gerichten unterstützen (Prozessstandschaft), § 11 LkSG.
Eine eigens in Bezug auf die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette geregelte zivilrechtliche Haftung wurde kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes noch gestrichen. Es bleibt also bei der allg. deliktsrechtlichen Haftung, die aufgrund der Darlegungs- und Beweislast für Unternehmen vorteilhaft ist. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass das Sorgfaltspflichtengesetz kein Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB darstellt.
Dabei wird es aber wegen der nahenden europarechtlichen Überformung des Sorgfaltspflichtengesetzes nicht bleiben (dazu im Folgenden).
2. Zur nahenden europarechtlichen Überformung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes
Am 10. März 2021 hat das Europäische Parlament einen Legislativbericht samt Richtlinienentwurf zu einem europäischen Lieferkettengesetz beschlossen und damit die EU-Kommission zu einem daran orientierten Richtlinienvorschlag aufgefordert. Nach dem Sommer 2021 will die EU-Kommission deshalb einen Legislativvorschlag zu Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt in der Lieferkette vorlegen. Ziel ist ein Inkrafttreten ab dem Jahr 2024. Als Richtlinie wird das europäische Lieferkettengesetz keine unmittelbare Geltung besitzen, sondern muss dann im Rahmen einer Umsetzungsfrist von voraussichtlich 24 Monaten von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz wird also in der Folge mit großer Wahrscheinlichkeit inhaltlich an die Richtlinie angepasst werden müssen. Denn insgesamt geht der Vorschlag des Europäischen Parlaments weit über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus. Diese weitergehenden Regelungen kommen dann voraussichtlich ab 2026 auf die Unternehmen zu.
Einige wichtige, weitergehenden Regelungen der geplanten Richtlinie im Folgenden:
- Sie soll für Unternehmen unabhängig von ihrer Größe (aber: risikobezogen) gelten; ausreichend ist zudem eine Geschäftstätigkeit in der europäischen Union.
- Einführung einer unbegrenzten zivilrechtlichen Haftung mit Beweislastumkehr zu Lasten des Unternehmens, d.h. das Unternehmen muss die Einhaltung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette darlegen und beweisen (kombiniert mit Konzernhaftung)
- Zusätzliche weitergehende Sorgfaltspflichten in Bezug auf Umwelt und Good Governance
3. Zu den Handlungserfordernissen für Unternehmen
Auch wenn das LkSG erst zum 01.01.2023 in Kraft tritt, sollten sich Unternehmen möglichst bald mit dem Gesetz beschäftigen. Denn danach sieht das Gesetz keine Übergangszeit vor, sondern entfaltet seine Wirkung vollständig. Damit muss die Umsetzung der neuen Anforderungen bis zum 31.12.2022 abgeschlossen sein.
Dabei werden die meisten Unternehmen in der Größe ab 3000 Mitarbeiter bereits in irgendeiner Weise einen Verhaltenskodex o.Ä. bzgl. der Einhaltung von Menschenrechten eingerichtet haben.
Es gilt also, die oben genannten Risikomanagementsysteme zu schaffen bzw. die vorhandenen Prozesse an die neuen Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz anzupassen.
Die Instrumente zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten sind nicht neu, sondern bereits aus anderen Compliance-Bereichen bekannt:
- Betriebliche Organisations-/Zuständigkeitszuweisung
- Risikoanalyse/Risikomanagement
- Grundsatzerklärungen, Berichtspflichten etc.
Auch bei der Wahl der Zulieferer und bei der Vertragsgestaltung müssen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten frühzeitig berücksichtigt werden. Bei Inkrafttreten des Gesetzes müssen auch bestehende Lieferketten und Verträge umfassend nach den neuen Anforderungen geprüft werden, so dass auch hier eine Überarbeitung der Due Diligence Prozesse notwendig ist.
Bei all den Pflichten und drohenden Sanktionen muss man das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auch als Chance für das Unternehmen begreifen. Die Chance liegt darin, die Pflichten nicht nur formal zu erfüllen, sondern tatsächlich eine Transformation des Unternehmens zu mehr Verantwortlichkeit in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt zu bewirken.
Der Vorteil durch eine eine nachhaltige, verlässliche Lieferkette ist deutlich größer als der Aufwand, der durch die Umsetzung der neuen Sorgfaltspflichten entsteht. Das gilt in finanzieller Hinsicht umso mehr, als spätestens mit entsprechenden europarechtlichen Vorgaben eine zivilrechtliche Haftung kommen wird. Hier gilt es, sich frühzeitig gegen folgende Haftungsklagen abzusichern.