Immobilien- & Baurecht
Gewerberaummiete: BGH-Urteil zur Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung
Mieter können bei coronabedingter Geschäftsschließung einen Anspruch auf Anpassung der Miete haben. Eine pauschale Reduzierung der Miete ist jedoch ausgeschlossen; vielmehr kommt es auf den Einzelfall an.
Seit den ersten behördlichen Schließungsanordnungen aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Frage im Raum, ob und in welchem Umfang betroffene Gewerbemieter weiterhin zur Mietzahlung verpflichtet sind. Nachdem zu Beginn der Pandemie eine Anpassung der Miete unter Verweis auf das Verwendungsrisiko des Mieters oftmals abgelehnt wurde, hat die Rechtsprechung mit der Zeit die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB herangezogen und angewendet. Dies hat der Gesetzgeber im zweiten Lockdown durch die Einführung der Vermutungsregelung in Art. 240 § 7 EGBGB bekräftigt.
Es besteht weitgehend Einigkeit, dass es sich bei der COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen gesetzlichen und behördlichen Schutzmaßnahmen, insbesondere Betriebsschließungen, um eine für die Parteien eines Gewerbemietvertrages unvorhersehbare und schwerwiegende nachträgliche Änderung der Geschäftsgrundlage handelt und dass – hätten die Parteien die Pandemie vorausgehen – sie den jeweiligen Mietvertrag nicht oder jedenfalls nicht so geschlossen hätten.
Für eine Vertragsanpassung aufgrund Störung der Geschäftsgrundlage ist jedoch auch erforderlich, dass dem Mieter ein weiteres Festhalten an dem unveränderten Mietvertrag nicht zugemutet werden kann. In Literatur und Rechtsprechung gingen dabei die Ansichten, was einem Gewerberaummieter zugemutet werden kann, bislang weit auseinander. Auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte war nicht einheitlich. Während das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 24.02.2021 – 7 U 109/20) festhielt, dass die Annahme der Unzumutbarkeit der Mietzahlung eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls voraussetzt und verschiedene zu berücksichtigende Punkte aufführt (ähnlich auch das OLG Frankfurt/Main im Urteil v. 19.03.2021 – Az. 2 U 143/20 und das OLG München im Hinweisbeschluss vom 17.02.2021 – Az. 32 U 6358/20), hat das OLG Dresden (Urteil vom 24.02.2021 – 5 U 1782/20) eine pauschale Reduzierung der Kaltmiete um 50 % angenommen.
Letzteres hat der BGH in seinem Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21) abgelehnt und erste Leitlinien für die Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung gegeben:
Mangel der Mietsache
Der BGH hat zwar klargestellt, dass die mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und die Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts anwendbar sind und nicht durch Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen wurden.
Jedoch hat der BGH das Vorliegen eines Mangels der Mietsache und damit eine Minderung der Miete gemäß § 536 BGB eindeutig abgelehnt. Ein Mangel der Mietsache kann zwar auch begründet sein, wenn sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts ergeben. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Der BGH hat entschieden, dass die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Mieter diese Voraussetzung nicht erfüllt:
Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpfe allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Allgemeinverfügung wird jedoch weder dem Mieter die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch dem Vermieter tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt wäre daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung gestanden. Das Vorliegen eines Mangels im Sinne von § 536 BGB ergebe sich auch nicht aus dem im entschiedenen Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs". Der Mieter hätte nicht davon ausgehen können, dass der Vermieter mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollte.
Störung der Geschäftsgrundlage
Zugleich hat der BGH aber klargestellt, dass einem Gewerbemieter im Fall einer behördlich angeordneten, coronabedingten Geschäftsschließung grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen kann. Es verbiete sich jedoch eine pauschale Kürzung der Miete, z.B. um die Hälfte. Vielmehr bedürfe es zur Klärung der Frage, ob dem Mieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist, stets einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB).
Im Hinblick auf die Anwendung des § 313 BGB und die im Einzelfall erforderliche Abwägung hat der BGH mit seinem Urteil erste Leitlinien aufgestellt, die zusammengefasst im Wesentlichen wie folgt aussehen:
- Die sog. große Geschäftsgrundlage wäre aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche Voraussetzung einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt ist, spreche auch die neu geschaffene Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB.
- Allein der vorgenannte Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtige den Gewerbemieter jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlange die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
- Das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört bei der gewerblichen Miete vor allem die Chance, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters. Das gelte auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Mieters kommt.
- Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters jedoch auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, würden nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung beruhen, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie seien vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden könne. Durch die COVID-19-Pandemie habe sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst würde. Das damit verbundene Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.
- Dies bedeute aber nicht, dass der betroffene Gewerbemieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen könne. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedürfe auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht.
- Deshalb komme die vom Oberlandesgericht Dresden vorgenommene Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht.
- Es bedürfe vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden seien. Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen dürfe, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen. Wesentliche in der Abwägung zu berücksichtigende Punkte können daher sein:
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- konkreter Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung, wobei nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei;
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- Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern;
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- finanzielle Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat; staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, würden bei der gebotenen Abwägung außer Betracht bleiben, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreiche;
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- Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters;
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- eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei nicht erforderlich;
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- die Interessen des Vermieters sind bei der gebotenen Abwägung auch in den Blick zu nehmen.
Ausblick
Mit seinem Urteil hat der BGH eine erste richtungsweisende Entscheidung für die Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung getroffen, die einen interessengerechten Ausgleich zwischen den Parteien schaffen soll. Fest steht mit dem Urteil aber auch, dass es keine einfache und pauschale Lösung zu dem Problem gibt. Vielmehr ist immer der konkrete Einzelfall und die damit einhergehenden Umstände zu beleuchten.
Mit diesen ersten Leitlinien können und müssen Vermieter und Mieter wie bisher individuelle Lösungen finden, mit denen sich beide Seiten einverstanden erklären können. Das Urteil des BGH bringt dabei erste Rechtsklarheit und dürfte die außergerichtliche Einigung der Mietvertragsparteien voranbringen. Zugleich wird aber in den Fällen, in denen die Umstände des Einzelfalls von den Parteien unterschiedlich beurteilt werden, weiterhin eine gerichtliche Klärung erforderlich werden.