Immobilien- & Baurecht
Können Planer jetzt doch Mindestsätze abrechnen und notfalls einklagen?
Architekten und Ingenieure können bei Altverträgen berechtigterweise darauf hoffen, dass Abrechnungen nach den Mindestsätzen der HOAI vor Gericht Bestand haben. Demgegenüber können sich Auftraggeber nicht auf die Unwirksamkeit der verbindlichen Preisrahmen der HOAI 2009 und 2013 verlassen!
Wie bereits in unserem Beitrag vom 19.01.2022 erwähnt, herrschte seit dem Urteil des EuGH vom 04.07.2019 nicht nur bei Rechtsanwendern, sondern insbesondere auch bei Architekten und Ingenieuren eine erhebliche Unsicherheit, ob auf bis zum 31.12.2020 abgeschlossenen Altverträgen basierende Mindestsatzklagen im Lichte des EuGH-Urteils überhaupt noch erfolgversprechend würden durchgeführt werden können. Hintergrund war, dass der EuGH das verbindliche Preisrecht der HOAI 2013 - und deren Vorgängerfassungen - in seinem vorgenannten Urteil wegen Verstoßes gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) für unionsrechtswidrig erklärt hatte und dass danach unklar war, ob die deutschen Gerichte die maßgebliche EU-Dienstleistungsrichtlinie oder das EuGH-Urteil bei Honorarklagen zwischen Privaten unmittelbar berücksichtigen mussten.
Spätestens nach den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH im Jahre 2021 wurde aus der bis dahin bestehenden Unsicherheit fast schon Gewissheit, dass sogenannte Aufstockungsklagen, mit denen Architekten und Ingenieure bisher eine Anpassung des unter den Mindestsätzen der HOAI vereinbarten Honorars an die Mindestsätze der HOAI verlangen konnten, endgültig der Geschichte angehören würden. Dies deshalb, da der Generalanwalt beim EuGH für eine unmittelbare Wirkung der EU-Dienstleistungsrichtlinie plädierte und sich der EuGH für gewöhnlich den Schlussanträgen des Generalanwalts anschließt.
Nachdem sich aber nun der EUGH am 18.01.2022 etwas überraschend entgegen den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH entschieden und ausgeurteilt hat, dass zumindest das Unionsrecht etwaigen Mindestsatzklagen zwischen Privatpersonen nicht unmittelbar entgegensteht, können Architekten und Ingenieure berechtigterweise darauf hoffen, dass der BGH im maßgeblichen Revisionsverfahren VII ZR 174/19 eine Fortgeltung des in den Altfassungen der HOAI geregelten verbindlichen Preisrechts ausurteilen wird und dass damit auf Altverträgen basierende Mindestsatzabrechnungen vor Gericht Bestand haben werden. Mit dem Urteil des EuGH vom 18.01.2022 ist nun endlich die seit über zwei Jahren bestehende Rechtsunsicherheit zumindest einmal auf europäischer Ebene geklärt und klargestellt worden, dass Architekten und Ingenieure weder durch das EuGH-Urteil vom 04.07.2019, noch durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie als solche daran gehindert sind, sich bei vor dem 01.01.2021 geschlossen Architekten- oder Ingenieurverträgen in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen auf eine Mindestsatzunterschreitung zu berufen und eine Honoraraufstockung zu verlangen.
Architekten und Ingenieure, die aufgrund des Urteils des EuGH vom 04.07.2019 bislang davon abgesehen haben, eine Anpassung des unter den Mindestsätzen der HOAI vereinbarten Honorars an die Mindestsätze der HOAI zu verlangen, sind nun gut beraten, diese Möglichkeit alsbald anwaltlich überprüfen zu lassen und berechtigte Honorarnachforderungen zu verfolgen.
In einem solchen Falle sollten durch Architekten und Ingenieure so in Anspruch genommene Auftraggeber die Möglichkeit prüfen lassen und in Erwägung ziehen, den ihnen in Folge der höheren Honorarzahlungspflicht entstehenden Schaden gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen.