IT/Datenschutz
EuGH: Keine Erheblichkeitsschwelle für datenschutzrechtliche immaterielle Schadensersatzansprüche
Heute hat der EuGH in der Rechtssache C-300/21 (Österreichische Post) aufgrund des Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs eine erste und sehr praxisrelevante Entscheidung zum datenschutzrechtlichen Schadenersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO getroffen:
Der bloße Verstoß gegen die DSGVO begründet keinen Schadenersatzanspruch (europa.eu)
Hierbei wurde entschieden, dass nicht bereits ein bloßer Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) zu einem datenschutzrechtlichen Schadensersatzanspruch führt, wie dies z.B. das Bundesarbeitsgericht (BAG) vertritt. Es muss vielmehr ein Kausalzusammenhang zwischen dem Datenschutzverstoß und dem entstandenen Schaden bestehen.
Zudem wurde entschieden, dass die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des Schadenersatzes durch die einzelnen Mitgliedstaaten zu erfolgen hat. Es muss hierbei aber ein vollständiger und wirksamer Schadenersatz für den erlittenen Schaden sichergestellt werden.
Bahnbrechend ist aber die Entscheidung zur dritten Vorlagefrage.
Eine große Anzahl deutscher Gerichte ist bisher von einer Erheblichkeitsschwelle bzw. Bagatellgrenze bei der Geltendmachung von datenschutzrechtlichen Schadensersatzansprüchen ausgegangen (z.B. LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2021 – 16 O 128/20; LG Hannover, Urt. V. 14.02.2022 – 13 O 129/21; LG Heidelberg, Urt. v. 16.03.2022 – 4 S 1/21; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 02.03.2022 – 13 U 206/20; OLG München, Urt. v. 20.09.2022 – 18 U 6314/20 Pre).
Der EuGH entschied nun aber, dass beim datenschutzrechtlichen immateriellen Schadenersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO gerade keine Erheblichkeitsschwelle erforderlich ist!
Insofern folgte der EuGH nicht der Ansicht des EuGH-Generalanwaltes, welcher sich in seinen Schlussanträgen für eine Erheblichkeitsschwelle aussprach. Der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz sei laut dem EuGH-Generalanwalt auf Grund eines bloßen Unmutsgefühls und Ärgers der betroffenen Person nicht erfüllt.
Folgen des EuGH-Urteils:
Dies bedeutet, dass auch sehr niedrigschwellige immaterielle Schäden wie ein „ungutes Gefühl“ oder ein „gefühlter Kontrollverlust“ ohne ernstliche Schäden, zu einem Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 DS-GVO führen können.
Unternehmen sollten nun darauf gefasst sein, sich bei Datenschutzverletzungen vermehrt gegen datenschutzrechtliche Schadensersatzklagen Betroffener erwehren zu müssen.
Das bereits bestehende Geschäftsmodell mit der massenweisen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wird aufgrund dieses Urteils noch lukrativer, da nun deutlich bessere Erfolgsaussichten für datenschutzrechtliche Klagen bestehen. Ein immaterieller Schadensersatz kann in Zukunft somit nicht mehr mit der Begründung des Nichterreichens einer gewisser Erheblichkeitsschwelle abgelehnt werden.