Corporate & Commercial
Neuerungen im Produkthaftungsrecht: Was die neue Richtlinie für Hersteller bedeutet
Die rechtlichen Grundlagen der Produkthaftung spielen für Hersteller eine entscheidende Rolle für die Bewertung der eigenen Haftungsrisiken. Mit den jüngsten Änderungen der EU-Richtlinie zum Produkthaftungsrecht (2024/2853) stehen nun bedeutende Neuerungen an. Die beschlossenen Änderungen zielen darauf ab, den rechtlichen Rahmen der Produkthaftung, der aus dem Jahr 1985 stammt, an die moderne Welt anzupassen, aber auch, den Schutz der Verbraucher zur Förderung des EU-Binnenmarktes zu stärken.
Nachdem die neue Richtlinie nun das europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat, hat der deutsche Gesetzgeber zwei Jahre – bis zum 9. Dezember 2026 – Zeit, sie in ein neues deutsches Produkthaftungsgesetz zu überführen. Für alle Produkte, die vor diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht wurden, gilt in jedem Fall noch das alte Recht.
Wichtige Neuerungen der neuen Richtlinie:
- Erweiterung des Begriffs "Produkt"
Die neue Richtlinie erweitert den Begriff des „Produkts“, um der Digitalisierung und neuen Technologien gerecht zu werden. Insbesondere sollen „verbundene digitale Dienste“ – wie z.B. digitale Konstruktionsunterlagen – und Software erfasst sein. - Erweiterung des Kreises der Haftenden
Grundsätzlich bleibt auch nach der neuen Regelung weiterhin der Hersteller eines Produkts haftbar. Der Kreis der potenziellen Haftungsschuldner wird nun aber deutlich über die bisher zusätzlich in Betracht kommenden Hersteller, Quasi-Hersteller und EWR-Importeure hinaus erweitert.
So kann der Hersteller eines Zulieferteils neben dem Hersteller des Gesamtprodukts in Haftung genommen werden, wenn dieses den Fehler verursacht hat. Ebenso derjenige, der das Produkt außerhalb der Kontrolle des Herstellers wesentlich verändert (.B. der Aufbauhersteller von Lastkraftwagen).
Sitzt der Hersteller außerhalb der EU. kann – neben dem Importeur – auch der Bevollmächtigte des Herstellers oder sein Fulfillment-Dienstleister (d.h. Lager-, Verpackungs- und Versanddienstleister) in die Haftung genommen werden.
Soweit auch auf dieser Stufe niemand greifbar ist, kommen – unter engen Voraussetzungen – sogar Einzelhändler und Betreiber von Online-Marktplätzen als Haftungsschuldner in Betracht. - Strengere Haftungsregeln
Hersteller werden künftig strengeren Haftungsregeln unterworfen. Die Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen eine umfassendere Verantwortung für die Sicherheit ihrer Produkte tragen. Insbesondere müssen Hersteller sicherstellen, dass ihre Produkte den neuesten Sicherheitsstandards entsprechen und potenzielle Risiken minimieren.
Der Fehlerbegriff der neuen Richtlinie berücksichtigt noch stärker die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts. So kann ein Produkt beispielsweise fehlerhaft sein, weil erforderliche Software-Updates fehlen, um Schwachstellen bei der Cybersicherheit des Produkts zu beheben. Auch soll ein Eingriff einer Regulierungsbehörde im Zusammenhang mit der Produktsicherheit, z.B. ein Produktrückruf, für die Fehlerhaftigkeit des Produkts sprechen.
Zudem soll bei Produkten, deren Zweck gerade darin besteht, Schäden zu verhindern, jede Nichterfüllung dieses Zwecks für einen Produktfehler sprechen. Der EU-Gesetzgeber hat hierbei insbesondere Rauchmelder im Blick. Womöglich wäre dies aber auch für medizinische Implantate wie Herzschrittmacher relevant, für die nach einem EuGH-Urteil von 2015 zum sog. „Fehlerverdacht“ bereits besonders hohe Anforderungen gelten. - Erweiterung der Produkthaftung auf Software und smarte Produkte
Zwar sind auch nach geltendem Recht Softwareprogramme, die auf einem Datenträger gespeichert sind, Kombinationsprodukte aus Hard- und Software oder industriell hergestellte Standardprogramme von der Produkthaftung erfasst. Gerade für Unternehmen, die smarte Produkte oder KI-Systeme entwickeln oder vertreiben, ist zweifelsohne die uneingeschränkte Erweiterung der Produkthaftung auf diese Produkte und die entsprechende Anpassung des Fehlerbegriffs von großer Relevanz.
Derzeit bestehende Haftungsausschlüsse werden weiter eingeschränkt, besonders bei Fehlern, die auf Software oder Dienstleistungen nach Inverkehrbringung zurückzuführen sind. Die Produkthaftung gilt somit auch für notwendige Software-Updates im Post-Marketing-Bereich (soweit diese sicherheitsrelevant sind). - Erweiterung der Schadenersatzpflicht
Die ersatzfähigen Schäden werden auf den Verlust und die Verfälschung von Daten, die nicht ausschließlich für berufliche Zwecke verwendet werden, erweitert. Zudem werden die bisherigen Selbstbehalte (500 EUR) und Haftungshöchstgrenzen (85 Millionen EUR) entfallen. - Neue Offenlegungspflichten und Prozessrisiken
Eine besonders nachhaltige Änderung ergibt sich im prozessualen Bereich: Eine neue Offenlegungspflicht („disclosure of evidence“) wird praktisch häufig zu einer Beweislastumkehr führen, da der Kläger in vielen Fällen nur noch die Plausibilität seines Anspruchs nachweisen muss. Für die Verteidigung kann es erforderlich sein, Einsicht in Geschäftsunterlagen wie Konstruktionsunterlagen und Erkenntnisse aus der Produktbeobachtung zu gewähren. Bei einer Weigerung, diese offenzulegen, droht der Prozessverlust. Immerhin kann auch spiegelbildlich die Offenlegung von Beweismitteln und Informationen des Klägers verlangt werden. Das Gericht hat außerdem die Möglichkeit, Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen anzuordnen. Dennoch ist dies ein dem deutschen Recht bisher fremder Ansatz, der die Verteidigung gegen Schadenersatzansprüche deutlich schwieriger machen wird. Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber und später die Gerichte damit umgehen werden.
Fazit und Ausblick
Die neuen Regelungen im Produkthaftungsrecht bringen weitreichende Änderungen mit sich. Unternehmen müssen sich auf strengere Haftungspflichten und erhöhte Transparenzanforderungen einstellen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Hersteller verstärkt in die Sicherheit ihrer Produkte investieren müssen. Wenn es nach Inkrafttreten der Richtlinie zu (angeblichen) Produkthaftungsfällen kommt, wird eine Verteidigung gegen Ansprüche immer schwieriger werden, weil die Beweislast für die Kunden deutlich gesenkt werden wird.
Angesichts der verschärften Produkthaftung sollten Unternehmen die neuen Risiken in ihren Liefer- und Vertriebsketten prüfen und ihre Verträge zu gegebener Zeit an die neue EU-Produkthaftung anpassen. Wir helfen Ihnen gerne bei den Vorbereitungen. Kontaktieren Sie uns für eine Besprechung der Auswirkungen und Maßnahmen.